Editorial von Dieter Abholte: Wie ich es sehe …
Liebe Leser,
Sven Oliver Puch ist Fotograf und Fotokünstler – auch einer der Fotografen von IbizaHEUTE. Viele von Ihnen werden ihn kennen. Nicht zuletzt wegen seiner Ausstellungen. Immer, wenn er mir neue seiner fantastischen Fotos schickt, steht dabei: „Welches Glück haben wir doch, auf unserer wunderschönen Insel leben zu dürfen.“
Über dieses wunderschöne Ibiza wollte ich heute schreiben. Über die wohltuende Wärme der vergangenen Tage – noch weit entfernt von der Sommerhitze, aber schon herrlich, wie die Sonne Körper und Seele wärmt. Über den Blick auf die Festung und das Fischerviertel von Eivissa, wenn die kleinen weißen Häuser in der Morgensonne leuchten. Über das Meer, das unendlich blau strahlt und glitzert, als wären es Millionen kleiner Spiegel. Über die Bougainvillea, die als rote Wolken an den Natursteinmauern der Gärten und Häuser blüht. Ibiza, Formentera, auch Mallorca und Menorca, sind zauberhafte Inseln für glückliche Menschen – und um Menschen glücklich zu machen.
Dann kam die Nachricht der Katastrophe von der Playa de Palma auf unserer Schwester-Insel Mallorca.
Es ist am vergangenen Donnerstag gegen 20.30 Uhr im „Medusa Beach Club“, nahe am Meer und mitten im Vergnügungsviertel von Palma. Der Club ist gut besucht. Im Restaurant sitzen Menschen beim Essen, auf der Terrasse vor dem Lokal funkeln Cocktails und Wein in den Gläsern des Abendlichts. Auf der neu geschaffenen Dachterrasse des zweistöckigen Clubs wird getanzt – Opening-Party. Buntes Leben, Urlaub, Spaß, Lebensfreude.
Dann die Katastrophe. Sie kommt ohne Vorwarnung von einer Sekunde zur anderen. Das Haus stürzt ein. Der erste Stock zermalmt das Restaurant mit den Menschen. Es gibt einen lauten Knall, eine große Staubwolke. Erst die Ruhe des Entsetzens, dann die Schreie der Verletzten, der Menschen unter den Trümmern. Vier von ihnen können nicht mehr schreien. Sie werden später tot geborgen. Ein Mann, 44 Jahre alt, der in der Nähe arbeitet und nur schnell etwas essen wollte. Eine 34-jährige Kellnerin und zwei deutsche Urlauberinnen – 20 und 30 Jahre jung.
Ob es Freundinnen waren, ob sie sich an der Bar kennengelernt hatten, oder an verschiedenen Tischen saßen und sich nicht kannten. Ich weiß es nicht. Aber sicher ist, es waren Frauen, die sich auf ihren Urlaub gefreut hatten. Die den lauen Abend genossen, die Musik, die lockere Urlaubsstimmung. Vielleicht hatten sie aus dem Lokal noch ein Selfie per Handy an ihre Eltern geschickt, an ihre Freude, an die Menschen, die sie liebten. Vielleicht mit den Sätzen: „Ich genieße den Abend. Es ist herrlich hier.“ Oder: „Es sind meine letzten Tage auf Mallorca. Es war ein toller Urlaub. Aber jetzt freue ich mich sehr darauf, wieder bei euch zu sein …“
Sie kamen nicht zurück, sondern starben in Trümmern und Staub. Vier Menschen tot, 16 Verletzte, davon 6 schwer verletzt. Wobei dieses Wort schwer verletzt bedeuten kann, dass sie für den Rest ihres Lebens behindert bleiben, dass sie vielleicht Arme oder Beine verloren haben. Nein, ich will Sie nicht schocken. Ich will Ihnen und auch mir vor Augen halten, wie in einer einzigen Sekunde aus der Leichtigkeit des Lebens das Ende des Lebens werden kann. Wie der glückliche Moment innerhalb einer Sekunde zur Katastrophe wird. Und ich stelle mir vor, dass jeder von uns in dem eingestürzten Club gewesen sein könnte. Essen mit Freunden, Musik hören, ein wenig feiern, aufs Meer schauen …
Nun gab es Schweigeminuten der Rathäuser für die Opfer, auch auf Ibiza und Formentera und drei Tage Trauer in Palma. Mehr kann man nicht tun – außer fieberhaft nach der Ursache der Katastrophe und den möglicherweise Schuldigen zu suchen. Mit schlechtem Fertigbeton seien die Häuser dort damals gebaut worden. Die Dachterrasse sei gar nicht genehmigt gewesen. Zu viele Menschen, zu große Last auf der Tanzfläche unter freiem Himmel. Illegale Umbauten. Keine oder schlechte Bauabnahme der neuen Dachterrasse … Gerüchte gibt es viele.
Palmas Bürgermeister kündigte Untersuchungen der Ursache an, die bis ins kleinste Detail gehen würden. „Dafür tun wir alles, was in unserer Macht steht! Das sind wir den Opfern schuldig!“ Das sind die hilflosen Sätze der Politik. Was sollen sie anders sagen? Den Toten, den Verletzten und ihren Angehörigen hilft das nicht mehr.
Ich hoffe, es war wirklich ein Unglück – und nicht die Folge von schlechtem Material, um Geld zu sparen. Ich hoffe, es war wirklich ein Unglück und nicht eine „schwarz“ gebaute Terrasse ohne Baugenehmigung und Bauabnahme. Ich hoffe auch, dass – wenn es eine Bauabnahme gab – diese nicht großzügig oder schludrig durchgeführt wurde. Und Inspektoren tranken nicht nur im Club einen spendierten Wein, statt gründlich ihrer Arbeit nachzugehen …
Ich sage das nicht von ungefähr. In den vielen Jahren auf den Inseln habe ich mehr als einmal erlebt, wie Kontrollen manchmal ablaufen – oder bei bevorzugter Behandlung der Kontrolleure nicht ablaufen. „Korruption gehörte zu Spanien wie die Sonne!“ Das ist auch heute noch oft der gängige Satz. Die linke Vorgängerregierung richtete eine Stelle für die Bekämpfung und Verfolgung der Korruption ein. Die neue konservative Balearen-Regierung ist dabei, sie wieder abzuschaffen. Das wirklich nur am Rande – und wir werden es beobachten.
Ich wollte Sie, liebe Leser, heute nicht mit meinem Editorial ratlos machen, Ihnen auch nicht den Start in den Sonntag verderben. Ich wollte Ihnen – aber auch mir – vor Augen führen, wie schnell das leichte und meist glückliche Leben auch hier im Süden vorbei sein kann. Deshalb genießen Sie das jeden Tag des Lebens, mit schönen Erlebnissen, mit Menschen, die sie lieben. Ganz gleich, ob Sie auf den Inseln oder anderswo auf der Welt sind. Und passen Sie auf sich auf.